Das Pferdevirus infizierte mich bereits im Alter von 6 Jahren – und hat mich nie wieder losgelassen. Das Schönste für mich war schon immer und ist heute noch ein entspannter Geländeritt mit einem zufriedenen und entspannten Pferd, das mit minimalen Hilfen zu reiten ist.
Aber wie dahin kommen? Völlig egal in welcher Reitschule oder beim welchem Trainer ich Unterricht genommen hatte, nirgendwo konnte ich lernen, was ich tun muss, damit mein Pferd entspannt. Aber genau das wurde mir immer wichtiger. Ich wollte Ruhe und Harmonie.
Nachdem ich 1995 mein erstes Pferd, eine temperamentvolle Galopperstute von der Rennbahn, leider gehen lassen musste, holte ich mir einen jungen Araber-Mix-Wallach – angeblich soweit ausgebildet, dass er geländetauglich war. Leider konnte davon keine Rede sein. Er konnte gar nichts unter dem Sattel, nicht bremsen, nicht stehen bleiben, keine Richtungswechsel. Gas geben konnte er dafür um so besser. Es war unmöglich aufzusteigen, ohne dass jemand das Pferd festhielt. Ich stand völlig ratlos davor und wusste erstmal überhaupt nicht, wie ich dieses Problem angehen sollte. Denn Pferdeausbildung war in keinem Unterricht, den ich je hatte, ein Thema gewesen.
Ich hatte Glück. Ein anderer Einsteller in demselben Stall hatte Horsemanship für sich entdeckt, damals ein exotischer Begriff. Er arbeitete frei mit seinem nackigen Pferd und konnte ihn völlig kontrolliert bewegen – absolut faszinierend für mich! Nach welcher Methode er arbeitete, wusste er nicht. Er hatte sich das bei einem Freund abgeguckt. Er half mir ca. 4 Monate lang bei der Grundausbildung am Boden. Danach konnte ich das Pferd (wieder) an das Geritten werden heranführen – auf der Basis einer vertrauensvollen Beziehung. Er hatte fortan den Ruf das besterzogenste Pferd am Stall zu sein. 🙂 Wir haben viele, viele schöne Jahre zusammen erlebt!
Horsemanship hatte für mich nicht nur den Vorteil, dass ich mit dem Pferd so kommunizieren kann, dass es mich versteht, dass es leicht lernt, was ich von ihm möchte. Es ist auch eine perfekte „Methode“ Unfällen vorzubeugen. Wenn ich weiss, wie Pferde ticken, und wenn ich aufmerksam das Verhalten von Pferden beobachte, dann kann ich rechtzeitig erkennen, wenn’s gleich eng wird. Kein Pferd der Welt wird ohne Vorwarnung aggressiv. Die meisten Unfälle mit Pferden passieren aus Unwissenheit oder Ignoranz des Menschen.
Diesen Umgang mit Pferden habe ich im Laufe der Jahre immer weiter verfeinert. Ganz viel habe ich dabei von Heinz Welz gelernt. Aber auch von Peter Kreinberg, Hans-Jürgen Neuhauser und unbekannteren Trainern konnte ich vieles mitnehmen.
2005 erfüllte ich mir meinen lange gehegten grossen Traum: einen wunderschönen, dreijährigen spanischen Hengst, in Deutschland gezogen und noch roh. El Niño. Ich wollte unbedingt ein Pferd, das noch nicht durch Menschenhand versaut ist. Wir haben 2 Jahre lang nur vom Boden aus gearbeitet.
Mit dem ersten Mal gurten (Longiergurt) fing das Problem an – und es hat uns bis heute nicht losgelassen: Das Pferd hatte Wirbelblockaden – genauso wie ich seit über 20 Jahren. Immer wieder musste er osteopatisch behandelt werden, genauso wie ich. Im akuten Zustand kann das sehr schmerzhaft sein, die Beweglichkeit sehr eingeschränkt. Aber die ersten Jahre war er meistens reitbar und belastbar. Es war wunderschön!
Dann wurden seine Wirbelblockaden häufiger. Die von dem behandelnden Osteopath verordnete Reitweise (ausschliesslich Dressur am kurzen Zügel) führte nicht nur dazu, dass wir keinen Spass mehr hatten. Mein Pferd rannte davon, wenn ich mit dem Halfter in der Hand ankam. Ich hörte auf ihn zu reiten und arbeitete nur noch vom Boden aus. Die Wirbelblockaden kamen trotzdem immer wieder. Als ich feststellte, dass ich bei der kleinsten Biegung, die ich abfragte, das Weisse in seinen Augen sah, habe ich auch diese Arbeit eingestellt. Die Wirbelblockaden kamen weiterhin. Er hat das ganz alleine geschafft, zusammen mit seinen Kumpels in dem Aktivstall mit Paddock-Trail, den ich für ihn gebaut hatte. Mir fiel nichts mehr ein, was ich noch ausprobieren könnte um ihm zu helfen. Tausende Euros waren bereits versenkt. Mein Traumpferd 11-jährig in Rente – ich habe Rotz und Wasser geheult. Es war sooo bitter. Ich war völligst frustriert und verzweifelt. Und ich war enttäuscht von dem Pferd. Und jede Menge Wut war auch im Spiel – auf was auch immer.
Über ein Jahr lang habe ich mit mir und meinem Schicksal gehadert. Mein Ego war fürchterlich und nachhaltig verletzt, und das konnte ich nicht vor meinem Pferd verbergen. Niño konnte alle meine Gefühle mitfühlen, da bin ich mir ganz sicher. Er sprach mich nicht mehr an und drehte ab, wenn ich kam und war total in sich zurückgezogen. Selbst in der Herde hatte er kaum noch Kontakte. Körperlich baute er immer mehr ab und war überhaupt nicht mehr schön. Im Gegenteil, er wurde zunehmend hässlich. Ich konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen.
Die Schulmedizin konnte bisher weder mir noch meinem Pferd nachhaltig helfen. Ich selbst war im Laufe der Zeit bei zig verschiedenen Fachleuten in Behandlung. Kurzfristig können die Symptome meistens gelindert werden, aber dann geht es wieder von vorne los. Immer wieder, nach keinem für mich erkennbaren System. Ich wurde aufgeschlossener für „nicht bewiesene“ Theorien. Dass wir beide die gleiche „Krankheit“ haben, konnte kein Zufall sein.
Ich hatte nie aufgehört, nach Ursachen und Heilung zu forschen. Irgendwann bekam ich den Tipp es doch mal mit Tierkommunikation zu versuchen. Das konnte ich mir nun gar nicht vorstellen. Aber egal, es gab ja nichts zu verlieren. Das Ergebnis war äusserst aufschlussreich – aber auch zutiefst emotional und erschütternd.
Ich verstand plötzlich Niňos Problem. Die Ursache für seine Wirbelblockaden hatte er mitgebracht zu mir. Seine Wirbelblockaden sind genau so wenig wegzumachen wie meine. Es gibt einen gemeinsamen Weg für uns beide, aber er kann mich vielleicht nicht mehr tragen.
Ich verstand plötzlich, dass mein Ego eine ganz bestimmte Vorstellung hatte von Niňos Ausbildung und Einsatz. Leider kollidierte die mit Niňos Möglichkeiten. Ich verstand, dass ich das Reiten erst mal vergessen kann.
Ich verstand, dass die Ursache für meine Wut und meinen Frust mein gekränktes Ego war. Mein Ego wollte Klassische Dressur reiten. Mein Pferd hatte das nicht im Angebot. Ich verstand, dass ich mein Pferd benutzen wollte, meine egoistischen Ziele zu erreichen. Ich war wütend, weil er nicht mitspielte. Er konnte den Druck nicht ertragen, den ich ausübte, wenn ich auch nur an mein Ziel dachte.
Ich verstand, dass Niňo gesehen werden wollte, wie er war. Mitsamt seinen Blockaden, die er nicht abstellen konnte. Und mitsamt seinen Fähigkeiten, die er hatte. Und die hatte er zweifelsohne. Er war ein perfektes Schulpferd und ein perfekter Coach – in der Freiarbeit.
Und ich erkannte, dass ich Niňo liebe.
Es war der Anfang einer völlig neuen Reise in eine Richtung, die ich nicht kannte. Mit dem Tag, an dem diese Tierkommunikation stattfand, änderte ich schlagartig meine innere Haltung. Ich begrub mein Ziel eines Tages Piaffe und Passage zu reiten und wollte einfach nur noch, dass mein Pferd wieder Spass am Leben bekommt.
Das einzige, was Niňo gerne mitmachte, war Freiarbeit. Das Frage- und Antwort-Spiel. Seine Einsätze als Schulpferd und Coach hat er immer mit Bravour gemeistert. Sobald ich aber seinen Körper irgendwie formen wollte, verspannte er sich. Die meiste Zeit liess ich ihn einfach sein. Bewegung hatte er er haltungsbedingt ausreichend.
Niňo begann aufzublühen. Sehr langsam zwar, aber stetig. Ich gönnte ihm alle paar Wochen eine Wellness-Behandlung und probierte auch energetische Behandlungen aus. Darauf sprach er an. Nach 2 Stunden war der Rücken sichtbar höher und blieb wochenlang oben. Ich war und bin heute noch völlig sprachlos.
Im Laufe der Zeit fiel mir immer häufiger auf, dass Niňo und ich zeitgleich dieselben Blockaden hatten. Der Zusammenhang zwischen seiner und meiner Krankheit drängte sich mir quasi auf. Ich begann zu ahnen, dass ich dieses Pferd nur geheilt bekomme, wenn ich mich selbst heile. Wir sind irgendwie voneinander abhängig.
Selbstheilung bedeutet immer Konfrontation mit den eigenen psychischen Anteilen, die wir verbannt haben. Es bedeutet sein eigenes Ego kennenzulernen, und es abzugrenzen von sich selbst. Das Ego will Erfolg, Ansehen, Recht haben, oft auch Macht. Ich habe erkannt, dass die Ziele meines Ego nicht zu Verbindung führen, sie trennen mich eher vom Leben. Mittlerweile habe ich höhere Ziele, meines Erachtens deutlich erstrebenswertere: Liebe, Respekt, Vertrauen, Augenhöhe. Diese Ziele kommen aus meinem Herzen. Sie verbinden mich mit Menschen und mit Tieren und mit dem Leben.
Ich gab mich zufrieden mit dem Zustand, den ich mit Niňo hatte. Wir hatten in der Freiarbeit eine sehr feine Kommunikation etabliert, allerdings richtete er nur sehr selten das Wort an mich. Ich fand heraus, wie ich ihn dazu ermutigen konnte. Ich fand heraus, dass er Spass haben wollte. Aber den konnte er nur haben, wenn ich auch Spass hatte. Er spiegelte mir alle meine Gefühle, und die waren erst mal alles andere als kontrolliert.
Im Laufe der Zeit lernte ich das Gefühl des Spass-haben-wollens möglichst auf Knopfdruck produzieren zu können. Genau so wie ich Wut produzieren kann, wenn ich Hilfestufe 4 (die letzte) erfolgreich anwenden will. Ich nahm meine Gefühle immer bewusster wahr, mein Pferd spiegelte sie mir alle. Wir wurden ein immer harmonischeres Team. Anfangs versuchte ich immer wieder mal einen Gurt anzulegen. Es war völlig aussichtslos. Irgendwann hörte ich auf an irgendeine Zukunft mit Niňo zu denken. Ich war nur noch dankbar um jeden Tag, an dem ich beobachten konnte, wie er wieder schöner wurde. Es schien ihm äusserst gut zu tun.
Nach 4 Jahren zogen wir alle um. 400km weit weg. Ich übernahm ein Stoppelfeld – mein erstes eigenes Stoppelfeld. Es juckte mich derart da drüber zu galoppieren, dass ich es einfach getan habe. Ohne Sattel, ohne Gurt, mit gebissloser Zäumung. Nach 4 Jahren Pause ohne Vorbereitung. Kurz Lenkung und Bremse angetestet und dann los. Hop oder top. Erst war die Kommunikation etwas schwammig, dann wurde sie immer besser. Wir hatten Megaspass! Ich konnte keine nennenswerte Blockade fühlen.
Ganz, ganz langsam sind wir die Reiterei wieder angegangen. Ohne Sattel, dafür aber (gottseidank) schnell mit Gurt. Ich habe meinen Reitstil komplett umgestellt. Völligst Seitengang-traumatisiert waren wir erst mal sehr lange nur geradeaus unterwegs. Wir trainierten wieder Geländekilometer, sind klettern gegangen. Schuhe brauchte er wieder und einen passenden Sattel. Das alles lief natürlich nicht ohne Unterbrechungen ab. Die Osteopathin legte uns deshalb immer wieder die Seitengänge nahe… Mittlerweile haben wir uns auch daran wieder getraut – und haben jetzt Spass dabei!
Aus dem einst so unschönen, in sich gekehrten, schweigsamen Pferd wurde wieder ein wunderschöner Spanier, voller Stolz und Lebensfreude – mit einem eigenen Willen. Je mehr ich meine Erwartungen loslassen konnte, je mehr ich im Hier und Jetzt seine Angebote suchen gegangen bin, desto schöner wurde unsere Beziehung, und desto mehr hatte er im Angebot. Er ist mein grösster Lehrer.
Heute gucke ich nicht mehr mit meinem Kopf auf Niňos Körper, sondern mit meinem Herz. Er braucht nicht viel Training durch mich um glücklich zu sein. Er ist es auch so. Heute weiss ich, dass es Zeiten gibt, in denen wir reiten gehen können, und andere Zeiten, in denen das eben keine gute Idee ist. Mein Herz erkennt das.
Was gibt mir die Beziehung zu meinem Pferd? Weshalb mache ich das alles? Habt Ihr Euch das auch schon mal gefragt?
Meine Antwort ist: weil es mich glücklich macht. Es macht mich vor allem dann glücklich, wenn mein Pferd gute Laune hat und Spaß daran hat sich mit mir zusammen zu bewegen. Es macht mich glücklich, wenn mein Pferd und ich im gleichen Rhythmus schwingen, wenn ich sein Vertrauen spüre. Es macht mich glücklich, wenn ich weiß, ich kann meinem Pferd vertrauen.
Horsemanship heißt wortwörtlich übersetzt Pferd-Mensch-Schaft, grammatikalisch wie Freund-Schaft. Horsemanship bezeichnet also die Beziehung zwischen Pferd und Mensch. Für mich war Horsemanship immer das stetige Bestreben nach einer möglichst harmonischen und erfüllenden Beziehung zu meinem Pferd. Das war der Weg, den ich gegangen bin. Mittlerweile habe ich allerdings gelernt, dass die meisten Menschen offensichtlich etwas ganz anderes unter diesem Begriff verstehen als ich. Ich habe viele unschöne Sachen gesehen unter der Überschrift Horsemanship.
Horsemanship hat in den meisten Fällen zum Ziel ein funktionierendes Pferd zu bekommen – ein Pferd, das dem Menschen widerstandslos dient. Es hat dem Menschen bei der Arbeit zu helfen oder seinem Vergnügen zu dienen. Gefühle spielen dabei keine Rolle, und was das Pferd will auch nicht.
Aber wie kann ich denn glücklich sein, wenn es meinem Pferd im Zusammensein mit mir nicht gut geht?
Gefühle sind das Wichtigste überhaupt im Leben. Im Grunde genommen weiß das jeder: solange es mir gut geht, kann passieren, was will. Leider werden in unserem Kulturkreis Gefühle systematisch abgewertet und tabuisiert. Gefühle passen nicht in unsere sogenannte rationelle Welt, das ist dann die Begründung. Die meisten von uns haben nie gelernt, wie sie mit ihren eigenen Gefühlen umgehen können. Aber sie sind ständig da und versüßen oder vermasseln uns das Leben, unabhängig davon ob sie uns bewusst sind oder nicht. Unfasslich viele Menschen suchen regelmäßig Psychologen und Psychiater auf, nehmen Psychopharmaka ein. Weshalb? Weil sie mit ihren Gefühlen nicht klar kommen. Selbstmörder und Amok-läufer tun, was sie tun, weil sie mit ihren Gefühlen nicht mehr klar kommen.
Wir könnten mal anfangen uns mit unseren Gefühlen zu beschäftigen, sie ernst nehmen und ihnen Bedeutung schenken, sie zulassen und ausleben, sie kennenlernen und damit umgehen lernen. Unsere Gefühle leben in unseren Verbindungen zu anderen Menschen, zu Tieren und zum Rest der Welt. Wir beeinflussen uns gegenseitig durch unsere Gefühle, die wir immer zum Ausdruck bringen. Es ist nicht zu verhindern. Genau so ist das auch bei einem Pferd: es bringt immer seine Gefühle zum Ausdruck und wird im Zusammensein mit uns von unseren Gefühlen beeinflusst.
Wenn ein Pferd sich unwohl fühlt im Zusammensein mit mir, dann macht mich die Begegnung nicht glücklich. Deshalb gehe ich auf die Suche: Was kann ich verändern? Was kann ich anders machen, so dass mein Pferd zufrieden wird?
Ich distanziere ich mich nun von dem Wort Horsemanship. Ich praktiziere kein Horsemanship, sondern ich fühle mein Pferd und mich. Zusammen mit meinem Pferd erarbeite ich mir bestimmte Gefühlszustände, die sich in meinen Bewegungen und denen meines Pferdes widerspiegeln. Das ist das Ziel bei allen Aufgaben, die ich meinem Pferd stelle.