Die Schulmedizin konnte bisher weder mir noch meinem Pferd nachhaltig helfen. Ich selbst war im Laufe der Zeit bei zig verschiedenen Fachleuten in Behandlung. Kurzfristig können die Symptome meistens gelindert werden, aber dann geht es wieder von vorne los. Immer wieder, nach keinem für mich erkennbaren System. Ich wurde aufgeschlossener für „nicht bewiesene“ Theorien. Dass wir beide die gleiche „Krankheit“ haben, konnte kein Zufall sein.
Ich hatte nie aufgehört, nach Ursachen und Heilung zu forschen. Irgendwann bekam ich den Tipp es doch mal mit Tierkommunikation zu versuchen. Das konnte ich mir nun gar nicht vorstellen. Aber egal, es gab ja nichts zu verlieren. Das Ergebnis war äusserst aufschlussreich – aber auch zutiefst emotional und erschütternd.
Ich verstand plötzlich Niňos Problem. Die Ursache für seine Wirbelblockaden hatte er mitgebracht zu mir. Seine Wirbelblockaden sind genau so wenig wegzumachen wie meine. Wir können einen Weg zusammen finden zusammen, aber wahrscheinlich nicht unterm Sattel.
Ich verstand, dass mein Ego eine ganz bestimmte Vorstellung hatte von Niňos Ausbildung und Einsatz. Leider kollidierte die mit Niňos Möglichkeiten. Ich verstand, dass ich das Reiten erst mal vergessen kann.
Ich verstand, dass die Ursache für meine Wut und meinen Frust mein gekränktes Ego war. Mein Ego wollte Klassische Dressur reiten. Mein Pferd hatte das nicht im Angebot. Ich verstand, dass ich mein Pferd benutzen wollte, meine egoistischen Ziele zu erreichen. Ich war wütend, weil er nicht mitspielte. Er konnte den Druck nicht ertragen, den ich ausübte, wenn ich auch nur an mein Ziel dachte.
Ich verstand, dass Niňo gesehen werden wollte, wie er war. Mitsamt seinen Blockaden, die er nicht abstellen konnte. Und mitsamt seinen Fähigkeiten, die er hatte. Und die hatte er zweifelsohne. Er war ein perfektes Schulpferd und ein perfekter Coach – in der Freiarbeit.
Und ich erkannte, dass ich Niňo liebe.
Es war der Anfang einer völlig neuen Reise in eine Richtung, die ich nicht kannte. Mit dem Tag, an dem diese Tierkommunikation stattfand, änderte ich schlagartig meine innere Haltung. Ich begrub mein Ziel eines Tages Piaffe und Passage zu reiten und wollte einfach nur noch, dass mein Pferd wieder Spass am Leben bekommt.
Das einzige, was Niňo gerne mitmachte, war Freiarbeit. Das Frage- und Antwort-Spiel. Seine Einsätze als Schulpferd und Coach hat er immer mit Bravour gemeistert. Sobald ich aber seinen Körper irgendwie formen wollte, verspannte er sich. Die meiste Zeit liess ich ihn einfach sein. Bewegung hatte er er haltungsbedingt ausreichend.
Niňo begann aufzublühen. Sehr langsam zwar, aber stetig. Ich gönnte ihm alle paar Wochen eine Wellness-Behandlung und probierte auch energetische Behandlungen aus. Darauf sprach er an. Nach 2 Stunden war der Rücken sichtbar höher und blieb wochenlang oben. Ich war und bin heute noch völlig sprachlos.
Im Laufe der Zeit fiel mir immer häufiger auf, dass Niňo und ich zeitgleich dieselben Blockaden hatten. Der Zusammenhang zwischen seiner und meiner Krankheit drängte sich mir quasi auf. Ich begann zu ahnen, dass ich dieses Pferd nur geheilt bekomme, wenn ich mich selbst heile. Wir sind irgendwie voneinander abhängig.
Selbstheilung bedeutet immer Konfrontation mit den eigenen psychischen Anteilen, die wir verbannt haben. Es bedeutet sein eigenes Ego kennenzulernen, und es abzugrenzen von sich selbst. Das Ego will Erfolg, Ansehen, Recht haben, oft auch Macht. Ich habe erkannt, dass die Ziele meines Ego nicht zu Verbindung führen, sie trennen mich eher vom Leben. Mittlerweile habe ich höhere Ziele, meines Erachtens deutlich erstrebenswertere: Liebe, Respekt, Vertrauen, Augenhöhe. Diese Ziele kommen aus meinem Herzen. Sie verbinden mich mit Menschen und mit Tieren und mit dem Leben.
Ich gab mich zufrieden mit dem Zustand, den ich mit Niňo hatte. Wir hatten in der Freiarbeit eine sehr feine Kommunikation etabliert, allerdings richtete er nur sehr selten das Wort an mich. Ich fand heraus, wie ich ihn dazu ermutigen konnte. Ich fand heraus, dass er Spass haben wollte. Aber den konnte er nur haben, wenn ich auch Spass hatte. Er spiegelte mir alle meine Gefühle, und die waren erst mal alles andere als kontrolliert.
Im Laufe der Zeit lernte ich das Gefühl des Spass-haben-wollens möglichst auf Knopfdruck produzieren zu können. Genau so wie ich Wut produzieren kann, wenn ich Hilfestufe 4 (die letzte) erfolgreich anwenden will. Ich nahm meine Gefühle immer bewusster wahr, mein Pferd spiegelte sie mir alle. Wir wurden ein immer harmonischeres Team. Anfangs versuchte ich immer wieder mal einen Gurt anzulegen. Es war völlig aussichtslos. Irgendwann hörte ich auf an irgendeine Zukunft mit Niňo zu denken. Ich war nur noch dankbar um jeden Tag, an dem ich beobachten konnte, wie er wieder schöner wurde. Es schien ihm äusserst gut zu tun.
Nach 4 Jahren zogen wir alle um. 400km weit weg. Ich übernahm ein Stoppelfeld – mein erstes eigenes Stoppelfeld. Es juckte mich derart da drüber zu galoppieren, dass ich es einfach getan habe. Ohne Sattel, ohne Gurt, mit gebissloser Zäumung. Nach 4 Jahren Pause ohne Vorbereitung. Kurz Lenkung und Bremse angetestet und dann los. Hop oder top. Erst war die Kommunikation etwas schwammig, dann wurde sie immer besser. Wir hatten Megaspass! Ich konnte keine nennenswerte Blockade fühlen.
Ganz, ganz langsam sind wir die Reiterei wieder angegangen. Ohne Sattel, dafür aber (gottseidank) schnell mit Gurt. Ich habe meinen Reitstil komplett umgestellt. Völligst Seitengang-traumatisiert waren wir erst mal sehr lange nur geradeaus unterwegs. Wir trainierten wieder Geländekilometer, sind klettern gegangen. Schuhe brauchte er wieder und einen passenden Sattel. Das alles lief natürlich nicht ohne Unterbrechungen ab. Die Osteopathin legte uns deshalb immer wieder die Seitengänge nahe… Mittlerweile haben wir uns auch daran wieder getraut – und haben jetzt Spass dabei!
Aus dem einst so unschönen, in sich gekehrten, schweigsamen Pferd wurde wieder ein wunderschönes spanisches Pferd voller Stolz und Lebensfreude – mit einem eigenen Willen. Je mehr ich meine Erwartungen loslassen konnte, je mehr ich im Hier und Jetzt seine Angebote suchen gegangen bin, desto schöner wurde unsere Beziehung, und desto mehr hatte er im Angebot. Er ist mein grösster Lehrer.
Heute gucke ich nicht mehr mit meinem Kopf auf Niňos Körper, sondern mit meinem Herz. Er braucht nicht viel Training durch mich um glücklich zu sein. Er ist es auch so. Heute weiss ich, dass es Zeiten gibt, in denen wir reiten gehen können, und andere Zeiten, in denen das eben keine gute Idee ist. Mein Herz erkennt das.
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