Die Schattenseiten des Horsemanship

Horsemanship ist mittlerweile ein gängiger Begriff geworden. Das Internet ist voll davon. Google liefert 7 Millionen Ergebnisse, YouTube 400.000.

Die meisten Horsemanship-Praktizierenden nehmen ihr Pferd dabei zunächst mal an Halfter und Strick und halten es somit fest. Dabei soll dann Vertrauen erarbeitet werden.

Ob’s geklappt hat, wird danach in der Freiarbeit sichtbar.

Unter Horsemanship verstehe ich etwas anderes.

Pferde sind Fluchttiere und kommunizieren über Körpersprache. Das ist jetzt nichts Neues mehr. Um sich aber körpersprachlich ausdrücken zu können braucht ein Pferd Raum. Je begrenzter der Raum ist, desto undeutlicher wird das Pferd „sprechen“. Wenn ein Pferd ans Seil genommen wird, dann wird der ihm zur Verfügung stehende Raum auf ein Minimum begrenzt. Zusätzlich befindet sich noch ein Mensch in dem selben Raum, schickt irgendwelche Energien irgendwohin zum Pferd und hält gleichzeitig vorne fest, will jede Bewegung des Pferdes kontrollieren.

Jede Bewegung aus eigenem Antrieb des Pferdes ist aber ein Satz, eine an den Menschen gerichtete Frage, die um Antwort bittet.
Die Pferde werden durch diese Art der Kommunikation quasi mundtot gemacht. Gleichzeitig werden sie durch physische Einwirkung in unnatürliche Körperhaltungen gezwängt.

Körperhaltung ist aus Sicht des Pferdes ein Satz.

Das soll vertrauensfördernd sein?

Es entstehen Konditionierungen – möglicherweise praktisch für den Menschen, aber das Pferd leidet darunter, wenn dabei für das Pferd wichtige Aspekte ausser Acht gelassen werden.

Horsemanship ist für mich vor allem eins: Freundschaft und Verbindung mit dem Pferd, je tiefer und inniger desto besser. Und Freundschaft funktioniert nur dort, wo beide wollen und etwas dafür tun, wenn Respekt und Vertrauen auf beiden Seiten wachsen können.

Und da Freundschaft immer nur auf freiwilliger Basis entstehen kann, „arbeite“ ich am Anfang mit einem freien Pferd.

Für mich ist das absolut vergleichbar mit der Freundschaft zwischen zwei Menschen.

Wenn mir eine Freundschaft wichtig ist, dann bemühe ich mich um das Wohlbefinden meines Freundes. Dazu muss ich allerdings wissen, was er/sie baucht. Ich möchte meinem Freund gut tun, nicht schaden. Genauso wie ich möchte, dass mein Freund mir gut tut. Und reden will ich mit meinem Freund, schöne und erfüllende Gespräche führen, keine Monologe. Ich will zuhören und verstehen, denn das wünsche ich mir umgedreht auch von meinem Freund.

Wenn ich etwas von meinem Pferd verlange und deutliche Zeichen von Unwillen oder Unwohlsein erkenne, dann kann ich mich entscheiden, was mir wichtiger ist: meine Freundschaft zu dem Pferd oder mein Ego.

Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass beides gut kombinierbar ist.

Im Horsemanship mache ich mir immer wieder bewusst, was ich für mein Ego tue, und was ich für das Pferd tue.

In der Pferdeausbildung läuft es oft nach dem Prinzip: wenn Du nicht tust, was ich will, dann füge ich Dir Schmerzen zu. Und was passiert, wenn ich das mit meinem menschlichen Freund mache? Er wird sich innerlich zurückziehen, auf Distanz gehen und mir irgendwann die Freundschaft kündigen. Dabei ist es unwichtig, ob der Schmerz auf körperlicher oder psychischer Ebene zugefügt wird (vgl. Gerald Hüther). Das Gehirn ist bei allen Säugetieren ähnlich aufgebaut.

Das Pferd reagiert genau so.

In einer Freundschaft möchte ich gehört und gesehen werden, möchte ich angenommen werden, so wie ich bin. Mein Freund möchte das auch! Wenn mein Freund aufgehört hat mit mir zu reden, dann kann keine Verbindung mehr entstehen.

Im Horsemanship möchte ich unbedingt, dass mein Pferd sich mir mitteilt!

Jede Bewegung ist ein Satz!

Ich möchte keine abgerichtete Marionette haben, die sich nicht mehr traut irgendeine Bewegung aus eigenem Antrieb auszuführen. Denn das ist genau der Zustand, in dem das Pferd aufgehört hat mit mir zu sprechen.

Wenn ich mit meinem Pferd arbeite und ihm nicht gestatte mir mitzuteilen, dass etwas nicht in Ordnung ist, oder diese Mitteilung einfach ignoriere, dann hat das nichts mit Freundschaft zu tun. Viele Pferde geben die Hoffnung irgendwann auf, dass ihnen jemals ein Mensch zuhören wird. Sie suchen dann den am wenigsten schmerzhaften Weg und ertragen. Es gibt aber auch Pferde, die nicht aufgeben. Sie fangen an zu kämpfen und sich zu wehren und werden dabei zu den sogenannten Problempferden. Und wollen doch nur gehört werden.

Bevor ich anfange einem Pferd irgendetwas beizubringen, will ich mir erst mal seine Freundschaft erarbeiten. Das geht nur mit einem freien Pferd. Freundschaft ist die tragende Säule unserer kompletten Zusammenarbeit.

Es gibt so viele Menschen, die jahrelang Horsemanship praktizieren – bis endlich das Kapitel Freiarbeit dran kommt. Und plötzlich macht das Pferd nicht mehr, was es soll. Damit zeigt es, dass es noch nie freiwillig mitgearbeitet hat. Es zeigt, dass die zuvor einstudierten Bewegungsmanöver konditioniert wurden. Wenn die Konditionierung jedoch tief genug verankert ist, dann lässt sie sich auch bei dem freien Pferd abrufen.

Was für eine Art Horsemanship ist das?

Der Natur des Pferdes entsprechend?

Auf youtube habe ich jede Menge Horsemanship-Videos gesehen, die Pferde zeigen, die das Leuchten in ihren Augen verloren haben und den Kopf hängen lassen. Die nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Der jüngste war 1 ½ Jahre alt.

Unter Horsemanship verstehe ich etwas anderes.

Ich möchte mich an dem Stolz und der Kraft und der Schönheit und der Anmut und der Lebensfreude meines Pferdes erfreuen.

Horsemanship ist für mich, wenn ich alles tue um seine Entwicklung dahingehend zu unterstützen.

 

1 Kommentar

  1. Dirk Hüther

    Schöner Text, der mir sofort zeigt, dass es hier um das Wohl der Pferde geht und nicht darum, ein paar Tricks zu lernen, mit denen jemand andere Leute beeindrucken kann.

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